SZ Sueddeutsche – Türkenrat München Jahrhundertsprozess NSU im Gerichtssaal mit Sami Demirel und Yahya Eker : Wach bleiben für die Gerechtigkeit

“Ich schau, dass hier keine Nazis kommen”, sagt Helmut Sieber. Dafür hat er die ganze Nacht vor dem Gericht ausgeharrt – genau wie Dutzende andere. Wer sind die Menschen, die dort stundenlang warten und unbedingt einen der Zuhörer-Plätze im Prozess gegen Zschäpe ergattern wollen?

 

Sami Demirel und Bayram Aydin stehen neben ihrem kleinen Lager aus Wasser und Zwieback und werden langsam wieder wacher. Es ist vier Uhr früh. In vier Stunden, so hoffen sie, werden sie in das Oberlandesgericht gelassen als zwei der 50 zugelassenen Zuhörer. Darauf wartet Aydin seit 16 Uhr am Sonntag, Demirel seit 22 Uhr. “Eigentlich wollte ich erst heute Morgen kommen, aber abends rief er an”, sagt Demirel und zeigt auf Aydin, “und meinte, ich solle mich besser beeilen.”

 

 

Demirel ist hier als Vertreter des Türkenrates München, Aydin schreibt für die türkische Zeitung Zaman, die allein in Deutschland 30.000 Abonnenten habe. “Diese Morde machen mir Angst”, sagt Demirel. Seit 35 Jahren lebt der 51-Jährige in Deutschland. Heute arbeitet er für die Stadt München, seine Kinder sind in Deutschland geboren. “Ich bin hier zu Hause. Aber diese rassistische Gewalt, die ist dennoch auch gegen mich und meine Kinder gerichtet. Gegen alle Türken”, sagt er, “deswegen bin ich hier.”

 

Er erwarte nicht viel von dem Prozess: “Wahrscheinlich kriegt Zschäpe zehn Jahre auf Bewährung”, sagt Demirel. Aber er hofft, dennoch zu verstehen, warum die NSU so lange unentdeckt bleiben konnte. “Wer sind all die Menschen, die diese Mörderin unterstützt haben?” Auf diese Frage erwartet Demirel eine Antwort.

 

Aydin ärgert es, dass er trotz seines Presseausweises neben seinem Bekannten Demirel in der Schlange stehen muss. Nicht, weil er deshalb die ganze Nacht wach bleiben musste, sondern weil für ihn das Auswahlverfahren auch in zweiten Durchgang intransparent geblieben ist. “34 türkische Medien haben sich angeblich auf die vier für Türken reservierten Plätze beworben, aber das Gericht weigert sich mir zu sagen, welche Medien das überhaupt waren”, sagt Aydin. Einer der vier akkreditierten “türkischen” Berichterstatter ist der arabische TV-Sender al-Dschasira. “Nichts von dem, was al-Dschasira sendet ist auf Türkisch”, sagt Aydin, wie könne er da an ein faires Verfahren glauben? Stattdessen nimmt er nun 16 Stunden Anstehen in Kauf, um sicher zu sein, seinen Lesern “Informationen direkt aus dem Saal” bieten zu können.

 

“Ich schau, dass hier keine Nazis kommen”, sagt Helmut Sieber. Dafür hat er die ganze Nacht vor dem Gericht ausgeharrt – genau wie Dutzende andere. Wer sind die Menschen, die dort stundenlang warten und unbedingt einen der Zuhörer-Plätze im Prozess gegen Zschäpe ergattern wollen?

 

Sami Demirel und Bayram Aydin stehen neben ihrem kleinen Lager aus Wasser und Zwieback und werden langsam wieder wacher. Es ist vier Uhr früh. In vier Stunden, so hoffen sie, werden sie in das Oberlandesgericht gelassen als zwei der 50 zugelassenen Zuhörer. Darauf wartet Aydin seit 16 Uhr am Sonntag, Demirel seit 22 Uhr. “Eigentlich wollte ich erst heute Morgen kommen, aber abends rief er an”, sagt Demirel und zeigt auf Aydin, “und meinte, ich solle mich besser beeilen.”

 

 

Demirel ist hier als Vertreter des Türkenrates München, Aydin schreibt für die türkische Zeitung Zaman, die allein in Deutschland 30.000 Abonnenten habe. “Diese Morde machen mir Angst”, sagt Demirel. Seit 35 Jahren lebt der 51-Jährige in Deutschland. Heute arbeitet er für die Stadt München, seine Kinder sind in Deutschland geboren. “Ich bin hier zu Hause. Aber diese rassistische Gewalt, die ist dennoch auch gegen mich und meine Kinder gerichtet. Gegen alle Türken”, sagt er, “deswegen bin ich hier.”

 

Er erwarte nicht viel von dem Prozess: “Wahrscheinlich kriegt Zschäpe zehn Jahre auf Bewährung”, sagt Demirel. Aber er hofft, dennoch zu verstehen, warum die NSU so lange unentdeckt bleiben konnte. “Wer sind all die Menschen, die diese Mörderin unterstützt haben?” Auf diese Frage erwartet Demirel eine Antwort.

 

Aydin ärgert es, dass er trotz seines Presseausweises neben seinem Bekannten Demirel in der Schlange stehen muss. Nicht, weil er deshalb die ganze Nacht wach bleiben musste, sondern weil für ihn das Auswahlverfahren auch in zweiten Durchgang intransparent geblieben ist. “34 türkische Medien haben sich angeblich auf die vier für Türken reservierten Plätze beworben, aber das Gericht weigert sich mir zu sagen, welche Medien das überhaupt waren”, sagt Aydin. Einer der vier akkreditierten “türkischen” Berichterstatter ist der arabische TV-Sender al-Dschasira. “Nichts von dem, was al-Dschasira sendet ist auf Türkisch”, sagt Aydin, wie könne er da an ein faires Verfahren glauben? Stattdessen nimmt er nun 16 Stunden Anstehen in Kauf, um sicher zu sein, seinen Lesern “Informationen direkt aus dem Saal” bieten zu können.

 

Akkreditierungsausweis für das Haus der Geschichte

 

Das ist auch Wolf Schmidts Anspruch. Der taz-Redakteur steht seit 3:30 Uhr Schlange und zeigt gerade seinen pinken Akkreditierungsausweis aus dem ersten Vergabeverfahren in der kleinen Solidargemeinschaft der Ansteher herum. “Nummer: 1” steht auf dem Papier. Schmidt war der Erste, der sich akkreditieren ließ. Im zweiten Verfahren bekam er keinen Platz mehr. “Diesen Ausweis spende ich jetzt dem Haus der Geschichte in Bonn. Die haben schon gesagt, dass sie das gerne haben wollen”, erzählt Schmidt. Über sein Lospech möchte sich Schmidt heute Morgen jedoch nicht ärgern. Der Kollege der türkischen Zeitung Evrensel teile seinen Platz mit der taz, erklärt Schmidt. “Dem war es wichtig, dass auch linke, deutsche Zeitungen berichten, da hat er uns angesprochen”, sagt der Journalist.

 

Inzwischen ist es fünf Uhr früh, etwa 30 Menschen stehen in der Schlange der Zuhörer, die meisten von ihnen Journalisten, die keine Akkreditierung bekommen haben. Mit dem Sonnenaufgang kommen die Kamerateams und beginnen, sich vor dem Gebäude zu positionieren. Die eine Seite der Straße vor dem Gericht ist mit Mannschaftswagen der Polizei zugeparkt, die andere mit den Übertragungswagen der Fernsehsender. Dann schließt der erste Demonstrant sein Fahrrad ab. “Mehr Engagement gegen rechts”, steht auf dem Styroporschild, das er mitgebracht hat. Er ist die Vorhut der Demo, die um acht Uhr beginnen sollte.

 

“Ich schau, dass hier keine Nazis kommen”

 

Die allerfrühste Vorhut, das ist Helmut Sieber. Sieber war der Erste. Um 13:30 Uhr ging er am Sonntagmittag zum Oberlandesgericht in der Nymphenburger Straße, um dort auszuharren, bis sie ihn reinlassen. Mit dicker Jacke, Wurstsemmeln und Rosinenschnecken ausgerüstet. “Ich schau, dass hier keine Nazis kommen”, sagt Sieber. 67 Jahre ist er alt, Maler von Beruf und “schon immer im linken Spektrum aktiv”, wie er sagt. Wenn er es schaffe, werde er sich jeden Prozesstag anschauen. “Es ist gut, dass so viel Presse da ist, aber ich will das trotzdem auch selber kontrollieren dürfen, wie das Verfahren abläuft”, sagt er. Dass in dem Infokasten vor dem Gericht geschrieben steht, “Beate Zschäpe, angeklagt wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung”, das regt ihn auf: “Das ist doch völlig verharmlosend. Warum steht da nicht Mord?”

 

Während Sieber spricht, kommt die Jura-Studentin Katharina Taleb zurück und nimmt dankend ihre Sachen wieder entgegen, auf die Sieber für sie aufgepasst hat. Auch Taleb hat die Nacht durchgemacht, um den Prozessbeginn direkt im Gerichtssaal zu erleben. “Ich will mir selber anschauen, wie so ein riesiger Prozess funktioniert”, sagt die Studentin. Vor allen Dingen die Aufarbeitung der Hintergründe und die exakte Beweisaufnahme interessieren sie. Im Studium sei der Prozess zwar immer wieder am Rande Thema, doch so etwas wie ein Gesprächskreis oder eine studentische Gruppe, die den Prozess beobachtend begleitet, fehle noch. “Vielleicht sollte ich das jetzt langsam mal gründen”, sagt Taleb und schenkt Kaffee in ihren Plastikbecher nach, während sie frierend von einem Fuß auf den anderen tritt.

 

“Seid wann sind Sie denn alle schon hier?” – um 5:30 Uhr rauscht ein Journalist in Baby-Schimmerlos-Manier in die Reihe. “Ich hol mal kurz meinen Klappstuhl, dann bin ich wieder da. Welche Nummer bin ich?”, fragt er und ist schon wieder im Abmarsch, als ihm jemand “Nummer 34” hinterherruft. Das ausharrende Warten der Nacht macht der Betriebssamkeit des Tagesgeschäfts Platz. Noch zwei Stunden, dann wird das gelbe Absperrgitter zur Seite geschoben. Die Schlange der Wartenden im Rücken, haben sich drei TV-Journalistinnen in Position gebracht. Jeweils drei Schritte Abstand. Gesprochen wird später, noch wird gepudert.

 

Quelle : SZ Sueddeutsche – 06.05.2013 – 23:14

http://www.sueddeutsche.de/politik/vor-dem-gerichtsgebaeude-beim-nsu-prozess-wach-bleiben-fuer-die-gerechtigkeit-1.1666036

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